Jahresbericht 2019/20

2019/2020: Das Startjahr


Am 27. April 2019 startete in Herzogenbuchsee das Ortsbustaxi EBuxi. Seine drei Eigenheiten: A) Fahrerinnen und Fahrer, an die 50, sind Freiwillige, gefunden vor allem unter den Pensionierten in Herzogenbuchsee und Niederönz. B) Alle Fahrzeuge laufen rein elektrisch. C) Eine App unterstützt beim Bestellen und Navigieren. In den ersten zehn Monaten transportierte EBuxi über 21’000 Personen. Die unerwartet grosse Nachfrage und Akzeptanz ist wohl auch dem Umstand zu verdanken, dass EBuxi eher zu Preisen des öffentlichen Nahverkehrs als zu solchen von Taxis fährt.


Die Klein-Agglomeration Herzogenbuchsee-Niederönz hat eine für den öffentlichen Ortsverkehr kritische Grösse. Sie ist mit rund 9’000 Einwohnern noch keine Stadt, geniesst also nicht deren Privilegien, zum Beispiel grosszügige Förderung durch national finanzierte Agglomerationsprogramme. Aber sie hat umgekehrt eine Reihe von Zentrumsfunktionen. In Herzogenbuchsee ist es das Hallenbad (einzig im Oberaargau mit 80’000 Einwohnern), sind es die regionalen Sozialeinrichtungen RAZ und Dahlia-Pflegeheim oder die Suchtklinik Wysshölzli mit nationalem Einzugsgebiet. Auch das Restaurant und Kulturzentrum «Kreuz», die Bibliothek, das Handballzentrum in der Dreifachturnhalle und das Freibad ziehen zahlreiche Nutzer*innen aus der Umgebung inklusive benachbartem Kanton Solothurn an. Bei Distanzen ab dem Bahnhof von oft deutlich mehr als einem Kilometer, vor allem bei Dahlia, Hallenbad oder Wysshölzli, wäre eine öffentliche Transportmöglichkeit in jeder Stadt Pflicht. In Buchsi hiess es bisher: laufen, auch für Betagte auf dem Weg zum Besuch im Pflegeheim am Dorfrand. Ein lokales Taxi gibt es seit etwa einem Jahrzehnt nicht mehr.


Wie die Tugend aus der Not entstand

Diesen Mangel haben die Buchser Gemeinderäte und ihre Verkehrsexperten schon länger entdeckt. Die lokale SP stupfte deswegen periodisch die Exekutive alle vier Jahre in ihrem Legislaturprogramm. Aber klassische Lösungen liessen sich mit vernünftigem Finanzaufwand nicht realisieren. Ein Ortsbus mit Betriebs- schluss um acht Uhr abends hätte die Gemeinde netto mindestens eine Drittelmillion Franken jährlich gekostet. Das Umfunktionieren bestehender Regionalbuslinien, vor allem der Linie 52, in einen Teil-Ortsbusbetrieb liess page1image16749856 sich aus einem Bündel von Problemen heraus ebenfalls nicht verwirklichen. Gemeindepräsident Markus Loosli, Gemeindeverwalter Rolf Habegger und RVK-Vertreter Hans Kaspar Schiesser versuchten es 2018 auch damit, Pionierunternehmen im automatischen Fahren, vor allem Postauto, zu einem Versuchsbetrieb im Dorf zu bewegen. Das kam nicht zustande, vielleicht weil Buchsi nicht den Glanz einer Uni-Stadt wie Fribourg, den Glanz eines Hauptortes wie Sion oder den Glanz eines Tourismusortes hatte.


So entstand im kleinen Dreier-Think-Tank aus der Not, gleichzeitig zu klein für einen Ortsbus und zu gross für ein Null-Angebot zu sein, die Tugend beziehungsweise die Innovation, den Ortsbusbetrieb mit Freiwilligen kostengünstig und umfassend anzubieten. Die Kern-Idee zu EBuxi wurde so in der Enttäuschung über zu teure konventionelle Ortsbusse und das phantasielose Angebot von Postauto im Gemeindehaus hinter dem Bannerträger von Cuno Amiet geboren.


Pioniere der Kombination

Holländische Verkehrsexperten würden beim Studium von EBuxi zweifellos draufkommen, dass «Greta», wie EBuxi von einem Teil der Einheimischen inzwischen genannt wird, eine Reihe von Merkmalen hat, die bereits in den späten siebziger Jahren in den Niederlanden unter dem Begriff Nachbarschaftsbus («Buurtbus») erfunden wurden: Freiwillige Fahrer*innen, Kleinbusse ohne Notwendigkeit für professionelle Busfahrer-Lizenzen, von fixen Linien losgelöster Betrieb. Aber in Herzogenbuchsee ist im Sinne eines First Movers eine Kombination von Fahrdienstleistungen entstanden, die so weltweit bisher einmalig, aber hoffentlich ein Anreiz für Andere ist:

  • rein elektrischer Antrieb (dafür steht das «E» in EBuxi)
  • grosse Zahl von Miliz-Fahrer*innen, aktuell um die 42 bei einem Pool von etwa 50
  • tiefe Preise, angelehnt an die Transportpreise lokaler öV-Busse, für eine Einzelfahrt zum Beispiel drei Franken, unabhängig von der Distanz, also Ein-Zonenbetrieb
  • ausgedehnte Betriebszeiten, die weit über übliche Ortsbussysteme hinausgehen, aktuell am Freitag zum Beispiel von 6.40 bis 01.40 Uhr, der Zeit der letzten Zugsankunft
  • fast paritätische Mit-Finanzierung von privaten Sponsoren und öffentlicher Hand.


Buchsi hat das Know-how dazu aufwändig, teilweise mühsam und mit einer beträchtlichen Frustrationstoleranz vor allem seitens des Vorstandes entwickeln müssen. Geholfen haben dabei im Vorstand aktive Experten für IT, für Organisation, für Verkehrsplanung, für Finanzierungsfragen, für Marketing, für Fahrzeugtechnik, für Management von öffentlichem Verkehr – und für Psychologie. Ohne den Mix dieser Experten aus sozusagen unterschiedlichen «Kulturen» hätte EBuxi nicht innert viereinhalb Monaten, der Zeit zwischen der Gründung des Vereins und dem Start, realisiert werden können. Externe Stimmen sind auch der Meinung, EBuxi sei ein gelungenes Beispiel, wie Pensionierte fürs Gemeinwohl organisiert werden können. Und intern hat die eine Fahrerin oder der andere Fahrer schon geäussert: «Ich mache da gern mit, weil mich das Fahren und die App heilsam fordern, weil ich viele Leute und natürlich auch die Dörfer noch besser kennenlerne.» Die Fahrer*innen bekommen für ihre Schichten, vier pro Tag, eine Spesenentschädigung. Aber nur weil die Aktiven darüber hinaus auch persönlich etwas von ihrem EBuxi-Engagement haben, bleiben sie bei der Stange. Das trifft bei fast allen zu, die schon im April 2019 dabei waren.


Überlebensfähig dank Sponsoring


Bei der Konzeption von EBuxi war klar, dass eine langfristige Finanzierung bei hohem Personalaufwand nur möglich ist mit dem Milizprinzip, aber zwingend notwendig auch mit Sponsoring. Pionier beim Sponsoring war die Buchser EWK mit ihrem Chef Roland Althaus. Sie hat unbürokratisch, damit rasch, grosszügig und durchaus wagemutig den Start von EBuxi ermöglicht, indem sie zwei Fahrzeuge finanziert hat: Einen siebenplätzigen E-Van und eine elektrische Rikscha mit zwei Passagierplätzen. Das Startkapital von 70’000 Franken aus dem für solche page3image16739504 Projekte vorgesehenen Fonds der EWK machte den raschen April-Start überhaupt erst möglich. Die Versicherung Die Mobiliar sponsert EBuxi zusätzlich in den ersten beiden Jahren mit je 18’000 Franken, die Raiffeisenbank Wasseramt-Buchsi mit je 5’000. Als kleinere Sponsoren haben ausserdem EBuxi unterstützt: Burgergemeinde Herzogenbuchsee, Auto Staub in Röthenbach, der Lieferant der E-Nissan, Carrosserie Jost in Herzogenbuchsee (Mahir Gashi) und die Schlossgarage W. Schärer in Thörigen. Aus dem Topf von mybuxi hat EBuxi Start-up-Gelder von der bundeseigenen Koordinationsstelle für nachhaltige Mobilität KOMO, vom Amt für öffentlichen Verkehr des Kantons Bern AöV und von «Engagement Migros» bekommen.


Mit dem Sponsoring der Mobiliar ist EBuxi auch ein Risiko eingegangen. In der Vereinbarung wollte die Versicherung nicht Ladestationen oder einen Fahrzeuganteil finanzieren, sondern ein Event. Versicherungs-Management und EBuxi einigten sich auf einen für die Fahrgäste kostenlosen Samstag- Transport. Würde das nun zu einer explodierenden Nachfrage am Samstag führen? Ja und nein. Heute ist der gebührenfreie Samstag klar der nachfragestärkste Tag der Woche, noch vor dem Freitag. Aber es reicht aus, untertags mit zwei Fahrzeugen zu fahren. Eigentlicher Missbrauch, einmal von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, gab es auch samstags bisher nicht: Die Buchser und Niederönzer Bevölkerung weiss offenbar, dass auch das EBuxi-Band nicht überdehnt werden kann und soll. Ein tragender Pfeiler in der Betriebsfinanzierung sind die Gemeinden. Herzogenbuchsee steuert 45’000 Franken zum Jahresergebnis bei, Niederönz 11’000, ein pro Kopf identischer Aufwand. Beide Gemeinden haben sich anfangs 2019 schnell und ebenfalls unbürokratisch entschieden: Auch in Demokratien können Projekte, sofern nicht massive Regulationen im Wege stehen, zügig verwirklicht werden. Mit den drei Säulen Freiwilligkeit (Fahrer*innen, EBuxi-Vorstand), Öffentlichkeit (Gemeinden) und Sponsoring (Privatwirtschaft) ist EBuxi ein klassisches Public Private Partnership-Projekt (PPP).


Einbindung ins nationale Projekt «mybuxi»

Der eigentliche Start-Impuls für EBuxi kam aus Bern. Das Bundesamt für Energie BfE wusste 2018, dass Herzogenbuchsee unkonventionelle Lösungen für die Realisierung eines Ortsbusses suchte. Als eine App-Entwicklerfirma für sogenannte on demand shuttles ein Testgebiet suchte, erinnerte sich das BfE an die Oberaargauer und schlug eine kombinierte Bewerbung mit der App-Firma um Bundesgelder aus dem sogenannten KOMO-Topf vor. Die Buchser Bewerbung kam innert Wochenfrist zustande, und App-Entwickler Shotl (Barcelona) erhielt mit drei Test-Gemeinden den Zuschlag für total 250’000 Franken Fördergelder für drei Jahre. Dem nationalen mybuxi-Koordinator, Andi Kronawitter, gelang es, mit guter Werbearbeit, diese Mittel innert Jahresfrist zu vervielfachen: Das funktionierte mit Geldern des bernischen Amtes für öffentlichen Verkehr AöV, vor allem aber mit der massiven Unterstützung von «Engagement Migros» des Migros-Genossenschaftsbundes MGB in Zürich.


Unter dem Namen von mybuxi, abgeleitet vom hiesigen EBuxi, koordiniert das Büro Kronawitter momentan zwei bis vier weitere Projekte von on demand shuttles: Eines in Ostermundigen, startend im Frühjahr 2020, eines im Raum Affoltern-Heimiswil im Emmental, startend im Frühsommer 2020. Projekte im Oberwallis und Toggenburg, vielleicht auch in der Romandie, könnten folgen. Alle Projekte unterscheiden sich in wichtigen Details von EBuxi. Aber Herzogenbuchsee hat mit tiefen Kosten und Preisen, ausgedehntem Angebot, rein elektrischem Antrieb, rascher Realisierung und lokalem Sponsoring ein wichtiges Ausrufezeichen gesetzt. Im Idealfall funktionieren die diversen on demand shuttles mit der gleichen App-Software, mit der gleichen Bestell-Telefonnummer und womöglich auch mit vernetzten Abos. Ganz fern am Horizont steht sogar die Einbindung ins nationale General-Abo des öffentlichen Verkehrs.


EBuxi ebenso wie künftig die andern mybuxi-Dienste fahren mit einer Sonderbewilligung des Bundesamtes für Verkehr BAV. Als Versuch benötigen die mybuxi-Betriebe keine juristische Abdeckung durch das Personenbeförderungsgesetzt PBG und auch keine kantonalen Bewilligungen. Als Verbreitungsgebiet sind die Gemeinden Herzogenbuchsee und Niederönz im Schreiben vom 7. August ausdrücklich genannt. EBuxi fuhr allerdings auch vom Ende April bis Anfang August nicht illegal. Der Vorstand hatte das Projekt sicherheitshalber als Vereins-Projekt organisiert. Kundinnen und Kunden mit Jahresabos sind nach wie vor automatisch Vereinsmitglieder. Die Einzeltickets und die Zehnfahrtenkarten enthalten den Hinweis auf (zeitlich unterschiedlich lange) Schnuppermitgliedschaften. mybuxi und EBuxi wollen in der zweijährigen Versuchsphase unter anderem beim Bundesamt für Verkehr und beim Kanton Bern erreichen, dass Taxi/Ortsbus-Mischformen, vor allem wenn Freiwillige pilotieren, erleichterten Zugang zu Bewilligungen bekommen. Denkbar sind in Zukunft auch kantonale oder Bundesabgeltungen für diese neuen Formen des öffentlichen Zubringers zu Bahn und Bus (last mile).

Nachfrage: noch kein Ende abzusehen

Am 22. Oktober 2019 begrüsste Fahrerin Elisabeth Flückiger in ihrem Nissan die junge Wysshölzli- Angestellte Samantha Scherrer. Sie war der zehntausendste Fahrgast, den EBuxi beförderte. Frau Scherrer besitzt als sozusagen idealtypische Kundin eine Jahreskarte und bestellte den Nissan an den Bahnhof per App, um zu ihrem Arbeitsplatz zu fahren. EBuxi hatte gerade einmal knapp sechs Monate gebraucht, um auf 10’000 Beförderungen zu kommen.


Ende Februar, nach zehn Monaten Betrieb, verzeichnete das Ortsbustaxi bereits mehr als 21’000 Fahrgäste. Im Mai 2019 war man mit 800 monatlich gestartet, hatte täglich also um die 25 Einsteiger*innen. Prognose und Ziel fürs erste volle Betriebsjahr waren 40 Fahrgäste pro Tag. Heute sind es etwa 2400 pro Monat, also um die 80 Personen täglich, fast das Doppelte des Zielwertes. Rund 1’450 Personen haben die App heruntergeladen, können EBuxi also automatisiert bestellen, eine für alle Beobachter überraschend hohe Zahl. Die Bestellungen laufen de facto zu rund der Hälfte über die App und zur anderen Hälfte über das Telefon. Eine Minderheit der Kunden ist «Fensterklopfer».


Auch die Erwartungen an den «Bus-Charakter» des Ortsbustaxi, die quantitativ nicht formuliert waren, sind ungefähr erfüllt. Knapp unter 20 Prozent aller Fahrten werden im Pooling geführt, das heisst es sitzen Personen mit verschiedenen Zielen im EBuxi und werden nacheinander an nicht allzu weit auseinander gelegenen Destinationen abgesetzt. Der Pooling-Anteil unter Tag liegt eher bei zehn Prozent, in der Nacht steigt er auf bis gegen die Hälfte aller Fahrten. Was damit zusammenhängt, dass nachts der Bahnhof klar im Mittelpunkt steht und sich bei einem um kurz vor elf ankommenden Zug oft Kund*innen, die per App bestellt haben, mit solchen treffen, die aus dem fahrenden Zug telefonisch reserviert haben, samt denen, die dann, weil sie EBuxi grad sehen, ans Fenster klopfen.


Von zuhause zum Doktor, vom Bahnhof zum Pflegeheim

EBuxi versteht sich nicht als Pendler-Service. Damit wäre der Dienst auch überfordert, da er ja bis jetzt unter der Woche bloss maximal sechs Mitfahrplätze und neu zwölf aufs Mal anbietet. Die Auslastungskurve zeigt denn auch, dass morgens bis etwa acht oder neun Uhr die Nachfrage eher klein ist, dann deutlich steigt, über Mittag kurz etwas absinkt, aber sofort wieder hoch geht und dort bis abends etwa um neun Uhr auf praktisch gleichem Niveau bleibt. Erst ab dann geht die Nachfrage wieder deutlich zurück. Die nivellierte Nachfrage macht es möglich, dass EBuxi mit zwei Fahrzeugen fast alle Transportwünsche befriedigen kann. Das nationale Bahn-/Bus- oder das Strassen-System mit ihren viel ausgeprägteren Hauptverkehrszeiten um sechs bis acht Uhr morgens und vor allem von halb fünf bis halb sieben Uhr abends erfordern viel stärker Gross-Kapazitäten und sind entsprechend anfällig für Überfüllungen und Staus.


Wer aber benutzt denn nun vor allem EBuxi? Seniorinnen für die Fahrt zum Freundinnen-Kaffee? Hausmänner für den samstäglichen Einkauf? Verspätete Schulkinder für den Spurt zum Unterricht? EBuxi hat von allem Anfang an ausgeschlossen, Schultransporte zu machen. Auch aus pädagogischen Gründen: Kinder müssen ihren Schulweg selbst erleben: Als Kindergärtler, unterwegs die Schnecken im Nachbars-Garten entdeckend, oder als Schüler auf dem Velo mit den Kollegen auf dem Feldweg artistisch den Pfützen ausweichend. Untertags gehören Transporte zum Arzt oder zur Therapie jeglicher Art zu den EBuxi-Transport- Klassikern. In den Randzeiten kommen Transporte vom Bahnhof zum Arbeitsplatz vor, aber natürlich auch die Heimfahrt der ferienmüden Familie vom Flughafen her mit reichlich Koffern, oder der samstägliche Rücktransport von der Migros oder von der Käsi mit vollen Taschen nach Hause. Auch einen Fahrgast, der mit zwei kleinen Kisten Altmetall einsteigt, um sie im «brings» zu entsorgen, oder eine Kundin mit einem Set alter Weingläser, um sie der Brocki zu schenken, hat EBuxi noch nie abgelehnt.


Die Fahrzeugflotte im September 2019: Rikscha (Leihfahrzeug), Nissan Evalia (Eigentum EBuxi), VW E-Golf (Leihfahrzeug). Rechts der Rikscha ist die graue Ladestation Bahnhof zu erkennen.


Die Fahrzeuge: elektrisch und ein bisschen Muskelkraft

Als EBuxi Ende April 2019 startete, waren die beiden geplanten Fahrzeuge im Einsatz: der elektrische Nissan-Van und eine elektrische Rikscha, ausgeliehen von RikschaTaxi Bern. Dass es gelang, den Nissan Evalia zu organisieren, dankte EBuxi der Garage Staub in Röthenbach und dem auto-affinen Finanzverantwortlichen Dennis Borgeaud, der es möglich machte, den eigentlich noch nicht lieferbaren Wagen zu «organisieren». Der Nissan bewährte sich, abgesehen von der systembedingt etwas zu geringen Ladekapazität, rundum. Und zwar so, dass der Vorstand sich Ende 2029 entschied, als zweites Standard-Fahrzeug wiederum einen Nissan Evalia zu beschaffen.


Die Rikscha kam beim Publikum (in der Regel, aber mit Ausnahmen vor allem bei Älteren) und Fahrern gut an. Von Beginn weg war aber klar, dass EBuxi eine leistungsstärkere Version bekommen sollte, die aber erst in Produktion war. In Steigungen, etwa der Weihermattstrasse, wurde dem Piloten, wenn er hinten zwei Passagiere drin hatte, reichlich Muskelkraft abgefordert. Heikler aber war, dass die Steuerungselektronik des Elektromotors sich als pannenanfällig erwies. Echter Winterbetrieb und Einsätze während regenreicher Perioden waren ausserdem nur mit erheblichen Unbequemlichkeiten für Fahrer und Passagiere zu realisieren. Ausserdem verzögerte sich der Liefertermin der eigentlich bestellten und leistungsfähigeren Rikscha immer mehr hinaus. Im November beschloss der Vorstand mehrheitlich, den mündlichen Vorvertrag für die Rikscha zu kündigen und auf das Fahrzeug zu verzichten. Die EWK als Sponsorin der EBuxi-Fahrzeuge hatte sich damit einverstanden erklärt, dass der Vorstand die freigewordenen Gelder des Rikscha-Kaufs für den Erwerb des zweiten E-Nissan umfunktionierte.


Als Verstärkungsfahrzeug dient bis heute ein elektrischer VW Golf der Schlossgarage in Thörigen. Das Fahrzeug ist ausgeliehen und wird zusätzlich per gefahrenem Kilometer bezahlt. Für Regel-Einsätze ist es allerdings zu teuer. So rechnet EBuxi für eine Fahrt vom Bahnhof raus zu den Feldägerten gut vier Kilometer und damit vier Leih-Franken ab, während der Ertrag nur drei Franken umfasst. Als Ersatzfahrzeug, etwa bei Nissan-Reparaturen, bleibt der E-Golf aber weiterhin im Einsatz.


Hunde ja oder nein? Das Spielregeln-Set

Nur das Einfache funktioniert wirklich, heisst das Motto der EBuxi-Betreiber*innen. Also war auch das Betriebsreglement entsprechend auszuformulieren. Da sich die Fahrzeuge nicht für Behindertentransporte samt Rollstuhl eignen, sind Behindertentaxi und Rot-Kreuz-Fahrten im Ort nicht überflüssig geworden. Wer EBuxi benutzt, muss in der Lage sein, sich selbständig und zu Fuss zum Fahrzeug zu bewegen. Etwas weniger klar ist es bei Hunden: Weil Mitreisende im Fahrzeug manchmal auch ganz eng zusammensitzen, gestaltet sich der Hunde-Transport aus Sicherheits- und aus geschmacklichen Gründen als schwierig. Die Vierbeiner sind also nur erlaubt, wenn sie in der Tasche oder im Korb transportiert werden können. Natürlich darf im Fahrzeug weder geraucht, gekifft noch getrunken werden. Kinder unter zehn sind nur in Begleitung Erwachsener zugelassen. Aber daneben bemüht sich EBuxi um Toleranz. Behältnisse, auch grössere, kosten nicht extra. Und wenn etwa die Rückreisewelle der Street Parade von Zürich ins oberaargauische Dorf schwappt, muss die Fahrerin oder der Fahrer oft einen auf der Zunge liegenden Kommentar zu Cannabis-Düften runterschlucken.


Die Fahrpreise, die wegen der Eigenwirtschaftlichkeit auf Mai 2020 wohl erhöht werden müssen, betragen momentan drei Franken für die Einzelfahrt, 25 Franken für die Zehnerkarte (die gelocht wird), und 150 Franken für die Jahreskarte. Die ist zu diesem Preis natürlich nicht übertragbar.


Transport-Priorisierungen gibt es nur wenige. Die wichtigste besteht darin, Fahrten von zuhause an den Bahnhof, um einen Zug oder Bus zu erreichen, vorzuziehen. Definitiv zusagen kann die Fahrerin die Pünktlichkeit so eines Transportes aber nur bei telefonischer Bestellung. Die App kann als Ziel zwar den Bahnhof identifizieren, nimmt aber keine Priorisierungen vor.


Die Erlöse aus Tickets und Abos decken (Budget 2020) knapp 40 Prozent der Gesamtkosten. Deren höchster Aufwandbetrag umfasst die Entschädigungen für die Entlöhnung des Fahrer-Managements und der Fahrer*innen-Spesen, zusammen etwa 56 Prozent.


Organisation ist alles, Improvisation auch

Genaugenommen funktioniert EBuxi wie eine kleine Firma. Kürzlich stand eines der Vorstandsmitglieder zusammen mit einem andern auf einem Balkon, schaute von oben auf den Rössliplatz hinunter, wo grad der EBuxi-Nissan in die Bahnhofstrasse einbog, und sagte zum Kollegen: «Eigentlich schon erstaunlich, was für einen gigantischen Aufwand wir mit mehr als 50 Leuten betreiben, um ein einziges Auto in Bewegung zu halten.» Tatsächlich. Aber das einzelne Fahrzeug war über 90 Stunden pro Woche in Bewegung und hat heute nach zehn Monaten Einsatz etwa 60’000 Kilometer auf dem Tacho. Zusammen mit den Zweitfahrzeugen hat EBuxi in 300 Tagen rund 65’000 Kilometer zurückgelegt. Aufwändig war und ist vor allem das Management des Fahrer*innen-Einsatzes. Dafür hat EBuxi eine Teilzeit-Angestellte zu etwa 20 Prozent rekrutiert. Aufwändig sind aber auch die Einsätze der Vorstandsmitglieder bei Friktionen der App, der Telefonumleitung oder bei Fahrzeug-Verstärkungen. Bei einigen Vorstandsmitgliedern sind seit April 2019 locker Pensen von durchschnittlich zwanzig bis dreissig Prozent zustande gekommen, ehrenamtlich. Wenn es nicht gelingt, diesen Aufwand nach der Pionierphase zu reduzieren, dürfte das Projekt in ein-zwei Jahren Personalprobleme bekommen. Denn zahlreiche Schwierigkeiten müssen jeweils verzögerungslos innerhalb kürzester Zeit gelöst werden, erklärlich durch einen Betrieb, der im Jahr 365 Tage und je (mindestens) 18 Stunden läuft. Oft erwiesen sich die Organisator*innen des Vorstandes als – wenn auch ziemlich gestresste – Meister der Improvisation. Was den Kunden zum Glück oft verborgen blieb. Dabei hat sich die Organisationsform des Vereins bisher bewährt. Vereinspräsident Klaus Indermühle koordinierte seine Spezialist*innen zu Beginn im Wochen- oder Zwei-Wochen-Sitzungsrhythmus, heute im Monatsrhythmus. Neben der Erst- und Folge-Ausbildung (Fahren, App, Telefonbedienung, Ortskenntnis) gibt es, finanziert aus der Trinkgeldkasse, auch gesellige Anlässe.




Schwierigkeiten: App und Kälte und Stress

Die Schwierigkeiten in den ersten zehn Monaten sind nicht dort aufgetaucht, wo sie der Vorstand am ehesten vermutet hatte, nämlich beim Mobilisieren der Fahrer*innen und beim Bestreben, sie bei der Stange beziehungsweise beim Nissan zu halten.


Im Fazit gibt es drei Problembereiche, die den Vorstand und die Fahrer*innen auf Trab halten und oft notfallmässig zu Änderungen von Organisation und Technik geführt haben:

  1. Die App ist dem Ortsbustaxi-Betrieb von Herzogenbuchsee nur mangelhaft angepasst und weist (zu) viele Fehler auf, die nur schleppend angegangen wurden.
  2. Die unerwartet stark gestiegene Nachfrage führte im Winter dazu, dass der Akku des Standard- Fahrzeuges (Nissan Evalia E-NV 200) an manchen Tagen, vor allem donnerstags und freitags, zu schnell leer war.
  3. App-Probleme, manchmal Probleme mit dem Telefon-Umschalten (untertags nahm eine Zeitlang die BETAX in Bern die Telefonvermittlung extern wahr), aber auch Probleme mit sehr anspruchsvollen Kunden führten zu Stress bei den Fahrer*innen und zur Notwendigkeit, zeitaufwändig im Hintergrundsystem oder mit Doppeleinsatz im Fahrzeug aktiv zu werden.


Problem eins: Die App, die historisch gesehen am Anfang des konkreten Projektes und seiner Finanzierung stand, ist für einen on demand shuttle mit Haltestellen entwickelt worden. Die Annahme beziehungsweise das Versprechen, sie liesse sich für den Betrieb eines Ortsbustaxis weiterentwickeln, erwies sich als falsch. Probleme sind etwa: A. EBuxi musste für die circa 3’500 Adressen in Herzogenbuchsee und Niederönz 996 Haltepunkte definieren. Mehr als tausend hätten das System überfordert. Damit fährt EBuxi nur scheinbar «adressenscharf». Genaue Bestellungen sind mit der App meist nicht möglich. Aus einer Adresse «Bleikematt 42» wird dann auf elektronischem Weg und unbeeinflussbar «Bleikematt 36». B. Fahrerin und Fahrer können nicht erkennen, ob die Adresse genau stimmt oder nur ungefähr. Weil auf dem Fahrer-Display die Besteller-Telefonnummer nicht erscheint, kann auch nicht zurückgerufen werden, wenn der Kunde nicht schon bei der Bleikematt 36 (also eben nicht vor seiner Haustüre) wartet. C. Die App ordnet Bestellungen auf eine schwer nachvollziehbare Weise nicht nur nach Eingangs-Priorität. Sie kann Bestellungen dazwischenschieben und damit den Fahrplan und den Fahrer in die Sätze bringen. D. Manchmal nimmt die App nach 24 Uhr keine Bestellungen mehr für die letzte Schicht an, manchmal sind Bestellungen im Hintergrundsystem (Dashboard) sichtbar ausgewiesen, erscheinen aber nicht auf dem Fahrer-Display.


Problem zwei: Der Akku des Nissan erfüllt zwar die Erwartungen. Aber ununterbrochenes Fahren und Heizen im Winter (20 bis 30 Prozent des Energieaufwandes) bringen den Ladestand schon untertags in den kritischen Bereich. Da Nachladen am Bahnhof bei Dauereinsatz vor allem nachmittags kaum realisiert werden kann, übernimmt die Nachtschicht mit minimalem Ladestand, kann oft noch etwas aufladen, hängt aber das Fahrzeug am Schluss der vierten Schicht ziemlich leer an die Steckdose. Folge: Das Fahrzeug ist morgens, nach nur knapp sechs Stunden Ladezeit, nicht vollständig aufgeladen. Abhilfe schafft ab und zu ein Leih-Ersatzfahrzeug. Der Aufwand, es zu holen, ist aber relativ gross, systembedingt schwer vorhersehbar, und die Kosten pro Kilometer sind hoch. Fahrerinnen und Fahrer haben sich dennoch erstaunlich gut mit den Widrigkeiten des Betriebs abgefunden. Sie alle haben eine hohe Vorstellung der Service-Qualität, für die sie sich einsetzen. Gerade deshalb verursacht es vielen ein Unbehagen, wenn Kunden zu lange Wartezeiten haben oder vorgesehene Abholzeiten nicht eingehalten werden können. Eine Belastung für die Fahrer*innen ist es ausserdem, dass die App sowohl Kunden als auch Fahrer*innen verwirrt oder anspruchsvolle Fahrgäste davon ausgehen, dass sie für drei Franken einen minutengenauen VIP-Service samt nettem Unterhaltungs-Onkel bekommen, und das Ausbleiben dessen zu jeder Form der Verbal-Injurie berechtigt. Nachdem seit Ende Februar 2020 zwei eigene identische E-Nissan im Betrieb sind, muss EBuxi vor allem wegen des Problems Nummer eins Lösungen finden.

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